Der Spielstart inklusive der ersten Spielstunde von Atomic Heart zeigt, wie viel Potenzial das Spiel von Entwickler Mundfish eigentlich gehabt hätte, doch schon nach kurzer Zeit bröckelt die stilvolle Fassade dieser doch so sehenswerten Spielwelt. Die erzählte Geschichte wirkt am Anfang ebenfalls sehr gut inszeniert, verliert aber mit den belanglosen und auf Dauer nervigen Gesprächen mit unserem redseligen Handschuh leider an Bedeutung. Wie kann der so mühevoll inszenierten Immersion so schnell die Luft ausgehen, obwohl man sich doch offensichtlich an Spielen wie Bioshock und Fallout orientiert hat?
Bioshock x Fallout

Wir tauchen in eine alternative Zeitlinie im Jahr 1955 ein, in der die UDSSR sich für eine revolutionäre Robotik-Tech-Industrie entschieden hat, anstatt sich der atomaren Versuchung hinzugeben. In dieser etwas anderen Welt unterstützen menschenähnliche Roboter die Bewohner bei ihren täglichen Aufgaben. Alles wirkt voll automatisiert in dieser heilen Welt. Selbst der Himmel ist gespickt mit Technik, denn überall schwirren witzig aussehende Drohnen im Formationsflug herum, die uns sogar später mitsamt eines Autos durch die Lüfte befördern. Wie bereits erwähnt, der erste Eindruck kann sich absolut sehen lassen.
Fliegenden Städte und düstere Gänge

Die Außenwelt von Atomic Heart hat es mir echt angetan, doch statt diese abgedrehte Kulisse zuerst zu erkunden, werden wir dazu verdonnert, durch die unterirdischen Forschungseinrichtungen zu kriechen. Auch hier gibt es zwar einiges zu entdecken, doch mit der spektakulären Oberwelt kann dieses Grau in Grau leider nicht mithalten. Ab jetzt begegnen uns immer wieder dieselben Spielmechaniken: Knacke Türschlösser via Minispiel (das selbst unser Spielcharakter irgendwann mit einer genervten Meinung kommentiert), sammel Unmengen an belanglosem Loot aus Möbeln und beförder immer und immer wieder dieselben drei Gegnertypen ins Jenseits.
Dazu kommt das die getöteten Roboter von unendlich vielen Reparaturdrohnen neu aufgebaut werden, diese aber nur einmalig auszuschlachten sind. Das sorgt dafür, dass man als Spieler:in ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch durch die Level rennt, da die Belohnungen für Extrakämpfe ausbleiben. Es wird auch eine Schleichfunktion inklusive Stealth-Gameplay angeboten, diese funktioniert aber leider nicht, da die allsehende KI uns immer sofort entdeckt – da bleibt nur noch ballern!
Meiner Meinung nach sind die vielen Türrätsel zu viel des Guten, weil sie uns immer wieder aus der Geschichte reißen und den Spielflow kontinuierlich stören. Mit Atomic Heart kann man sich zwar ca. 20 Stunden beschäftigen, was für ein Spiel dieses Genres ein sehr guter Durchschnitt ist, doch hätten die Entwickler auf die unzähligen sich wiederholenden Spielmechaniken verzichtet, welche die Spielzeit künstlich in die Länge ziehen, würde das Spielerlebnis deutlich kürzer (und vielleicht) runder ausfallen.
Ein Waffenbaukasten für Nah- und Fernkampf

Stichwort »Ballern«. Es gibt eine solide Waffenauswahl in Atomic Heart, die teils elementare Ladungen oder normale Projektile verschießt. Das Arsenal darf nach Bedarf auch noch erweitert oder gar verbessert werden, doch so wirklich anders fühlen sich die Waffen trotz Tuning nicht an. Einige Waffenerweiterungen dürfen nur mit den passenden Blaupausen angefertigt werden, die überall in der Spielwelt verteilt wurden. Für einen erfolgreichen Fernkampf ist es übrigens nicht entscheidend, ob wir mithilfe von Kimme und Korn zielen oder einfach aus der Hüfte schießen. Einzig und allein der sehr direkte und äußerst unterhaltsame Flirt mit dem Upgrade-Automaten sorgt hier für eine positive Überraschung.
Sprich mit der Hand

Den redseligen Handschuh hatte ich bereits zu Beginn dieses Tests erwähnt, doch hinter dieser ledrigen Quasselstrippe steckt das eigentliche Kampfpotenzial unseres Spielcharakters. Mit den sogenannten Polymer-Fähigkeiten können wir Gegner einfrieren, entzünden oder via Telekinese in die Luft befördern. Oftmals sind die Polymereffekte so stark, das es ausreicht, die Nahkampfwaffe zu zücken, um den wehrlosen Gegnern den Rest zu geben.
Apropos »den Rest geben«! Das wohl Nervigste an Atomic Heart steckt im unnötigen Backtracking des Spiels. Wer also gerne ausführlichst die Level erkundet und jeden noch so kleinen Winkel der Karte absucht, wird in der Aufgabenstellung leider hart bestraft. Es kam für meinen Geschmack zu oft vor, dass ich bereits gründlichst abgesuchte Gebiete erneut erkunden sollte. Viele Gegenstände oder Interaktionen wurden erst nach einer Aktualisierung bestimmter Quests aktiv, sodass man den kompletten Laufweg garantiert ein zweites oder gar drittes Mal ablaufen musste. Ich empfehle hier für alle Spieler:innen, die sich Atomic Heart trotzdem anschauen möchten, folgt erst den roten Questmarkierungen und kundschaftet dann den Rest des Abschnitts aus.
Release Termin:
20. Februar 2023
USK:
Ab 18
Genre:
Shooter
Spieltyp:
Einzelspieler
Entwickler:
Mundfish
Publisher:
Focus Entertainment, 4Divinity
Erhältlich für:
PC
PlayStation 4
PlayStation 5
Xbox One
Xbox Series
Fazit
Atomic Heart
Der erste Eindruck von »Atomic Heart« war wirklich fantastisch und überzeugte mit einer einzigartigen Spielwelt und einem frechen Lootsystem, bei dem wir einfach alle Gegenstände bequem aus dem Mobiliar saugen dürfen. Leider verbirgt sich hinter der tollen Optik des Spiels wenig Abwechslung. Man muss das Rad ja nicht neu erfinden, doch die vielen Copy-Paste-Elemente, wie zum Beispiel die Minispiele der Türschlösser, fördern nicht gerade das Spielvergnügen. Auch das Bewegungsverhalten des Charakters, der kaum eine einzelne Treppenstufe hochspringen kann, wird in manchen Passagen des Spiels zu einer echten Geduldsprobe. Einzig und allein die wenigen mysteriösen Charaktere und die tollen Robo- und Architekturdesigns haben mich durch das Spiel gebracht. Zum Glück war »Atomic Heart« während meines Tests Teil des Xbox Game Pass, sonst hätte ich mich sicherlich für einen Umtausch entschieden.
Pro
- Spannende Geschichte und Spielwelt
- Ausbau von Waffen und Skills möglich
- Kryo-Polymer-Fähigkeiten erweitern das Arsenal
- Sehr gutes Lootsystem
- NPC Oma Sina sehr gut gelungen
- Witziger Upgrade-Automat
- Sehr guter Soundtrack
Contra
- Puzzle wiederholen sich zu oft
- Erkunden wird mit unnötigem Backtracking bestraft
- Ständiges Scannen und Looten stört den Spielflow
- Stealth-Gameplay so gut wie unmöglich
- Einige Sprungpassagen frustrierend
- Fahrzeugsteuerung am PC nicht effektiv
- Unterirdische Gebiete teils sehr lieblos
- Gegner greifen hin und wieder durch die Wände an
- KI mit deutlichen Aussetzern
- Sound in Actionszenen hin und wieder schwach vom Klang
- Nach den ersten Patches ist der Bauplan der Schrotflinte verschwunden
- Die wenigen Bosskämpfe wiederholen sich
- Wertvolle Neuromodule lassen sich nicht einsammeln und bleiben als sichtbarer Loot in der Luft hängen
- Nervige Lagerverwaltung, durch ständiges Hochscrollen des Rasters
Letzte Worte
-
Atomic Heart bietet eine spannende Spielwelt, doch die trägen Bewegungen des Charakters und Copy-Paste-Elemente trüben den Spielspaß.