Windbeutel oder waschechter Samurai? In »Ghost of Tsushima« Schleichen, Meucheln, Duellieren und Entspannen wir uns auf eine japanische Art und Weise, die es so noch nicht in der Welt der Videospiele gab. Aber seht selbst, welch farbenprächtiges Abenteuer uns das Team von »Sucker Punch« auf den Bildschirm zaubert. Wir befinden uns mitten in einer mongolischen Invasion auf der japanischen Insel Tsushima. Der Beginn des Spiels fühlt sich ein wenig an, wie der Kampf der Spartaner gegen die Römer, denn wir sind mit nur achtzig Samurai gegen hunderte, gar tausende Mongolen klar in der Unterzahl. Als sich dann auch noch herausstellt, dass diese »Stutenmilch trinkenden« Krieger aus den fernen Landen, ohne Ehre und ohne Respekt kämpfen, müssen sich die Samurai Krieger auf eine ganz neue Art von Kampf einstellen. So ergeht es auch unserer Spielfigur Jin Sakai, der nach dem Tod seines Vaters als Mündel bei Fürst Shimura aufwächst und jahrelang die Wege und Weisheiten der Samurai erlernte.

Die erste Schlacht verläuft für uns nicht gerade nach Plan und so werden wir bereits nach wenigen Metern am Strand niedergestreckt – feige von hinten mit Pfeilen durchlöchert. Doch diese hinterhältigen Projektile dringen nicht tief genug ein, um uns direkt den Rest zu geben. Im letzten Augenblick, kurz bevor wir das Bewusstsein verlieren, können wir gerade noch erkennen, wie unser Ziehvater Fürst Shimura von den Mongolen in die Mangel genommen wird und kurz darauf schwindet unser Bewusstsein Richtung Jenseits. Doch wenn das das Ende wäre, würden wir uns wahrscheinlich im kürzesten Exklusivtitel der Spielgeschichte befinden – doch das Glück ist uns hold und eine Diebin namens Yuna klaubt uns vom Schlachtfeld auf und bringt uns in Sicherheit. Sie verpflegt notdürftig unsere Wunden und erzählt uns, wie es um die Insel steht: Gar nicht gut, denn, die mongolische Übernahme steht kurz bevor.

Angeschlagen und ohne Ausrüstung schleichen wir mit Yuna durch eine von den Mongolen übernommene Siedlung, um unsere Samurai Rüstung und unser Schwert-Kit wieder zu erlangen. Hier zeigt sich an allen Ecken, wie erbarmungslos die Invasoren mit den Einwohnern der Insel Tsushima umgehen. Yuna bietet uns einen Deal an den wir nicht ablehnen können, denn auch an ihrer Familie geht die Invasion nicht ohne Spuren vorbei. Yuna berichtet uns von ihrem Bruder, einem sehr talentierten Rüstungsschmied, der uns nützliche Gegenstände für die Rückeroberung von Tsushima herstellen könnte, vorausgesetzt wir befreien ihn aus den Fängen der Mongolen.
Während die Story also langsam Form annimmt, bekommen wir in mehreren Rückblicken einen Eindruck von der Kindheit unserer Spielfigur Jin, wie er zu seinem Vater stand und wie er jahrelang die Lehren der Samurai eingetrichtert bekam. Doch genug der spannenden Handlung, jetzt werfen wir einen Blick auf die wunderschöne Spielwelt und das geniale Stealth-Gameplay.
So schön kann Open-World sein



Ich muss von mir ja leider behaupten, ich bin ein totaler Open-World Chaot. Betrete ich eine dieser offenen Spielwelten, bin ich immer im Zwiespalt zwischen: Erkunde ich erst die Gegend, um bessere Ausrüstung für die Haupt- und Nebenmissionen zu haben oder spiele ich direkt die mir zur Verfügung stehende Handlung? Es gibt Spiele, da verliert man sich schnell in so einer offenen Welt und binnen kürzester Zeit hat man alles gesehen und die Luft ist irgendwie raus. In Ghost of Tsushima ist mir das nicht so ergangen, denn die Entwickler bei Sucker Punch haben ein verdammt gutes Gespür für die nötige Abwechslung, um uns Spieler bei der Stange zu halten.
Dies gelingt mit relativ einfachen Mitteln, denn die Nebenquests bauen fast alle auf der Invasion der Mongolen auf und erzählen, wie die Bewohner von Tsushima darin verwickelt sind. Diese ganzen dramatischen Momente fügen sich alle wunderbar in eine Gesamtstimmung zusammen und lassen uns weiterhin neugierig sein, ob die Geschichte überhaupt gut für uns ausgehen kann.
Ein weiterer Grund, warum man die ca. 50 Stunden Spielzeit durch und durch genießen kann, ist die malerische Landschaft, welche Ghost of Tsushima zu bieten hat. Es gibt dichte Blätter- und Bambuswälder, Sumpfgebiete, hohe Berge, Blumenwiesen in allen Farben und Formen und unterschiedliche Wetterbedingungen, die eigene Lichtstimmungen abhängig von Tag- und Nachtzyklen zeigen. Ich habe noch nie so eine bezaubernde Spielwelt betreten, wie die von Ghost of Tsushima. Die fliegenden Partikel in manchen Gebieten, die als Blätter, Vögel, Asche und Glut durch die Luft schweben, sind faszinierend und ich hätte nicht gedacht, dass die doch schon in die Jahre gekommene Hardware der PlayStation 4, so eine Detailpracht auf unsere Bildschirme transportieren kann.
Samurai oder Assassine



Nicht jeder Spieler mag es, minutenlang durch die Büsche zu schleichen und den besten Moment auszukundschaften, wie man ein komplettes Gegnerlager, ohne gesehen zu werden, auseinander nimmt. Auch hier punktet Ghost of Tsushima erneut, denn es steht dem Spieler offen, ob er als ehrenhafter Samurai die mongolischen Widersacher herausfordert, oder ob er genauso skrupellos und unfair in die Schlacht zieht, wie der Feind selbst. Auch eine Kombination aus beiden Spielstilen funktioniert wunderbar, da man sich dank der Rauchbomben, oder dem später im Spiel zur Verfügung stehenden Wurfhaken, schnell aus dem Staub machen kann, sobald der Gegner deutlich in der Überzahl erscheint.
Noch eine kurze Anmerkung für alle Stealth-Gaming-Freunde: Die Spielweise funktioniert in Ghost of Tsushima wirklich großartig und ohne Schwächen. Mir sind jedenfalls keine untergekommen. Bei anderen Spieletiteln war ich schon in Situationen, da hätte ich mir vor Ärger fast ins Knie gebissen, weil meine minutenlang ausgeklügelte Schleichtaktik am Ende durch eine fehlerhafte Programmierung einfach gescheitert ist. Ich mag das japanische Feeling von Perfektion und der Suche nach Einklang mit Geist und Natur, das im Spiel super transportiert wird. Als Jin Sakai streben wir zwar die hohe Kunst und Perfektion des Kampfes an, treten aber auch mal einen Schritt zurück, atmen durch und beschäftigen uns mit unserer mentalen Verfassung. Dabei helfen uns Miniaufgaben in Form von Bambusständen, an denen wir unser Geschick mit dem Schwert beweisen, heiße Quellen (Onsen), in denen wir über vergangene Ereignisse nachdenken und inspirierende Orte, an denen wir kurze japanische Gedichte (Haikus) verfassen.



Erfolgreich abgeschlossene Bambusstände belohnen uns mit Entschlossenheitspunkten, die uns helfen Jin Sakai mit Spezialattacken auszustatten. Eine perfekte Parade ist zum Beispiel eine der stärksten Kampfelemente im Spiel, allerdings gepaart mit einem hohen Risiko, da unser Held im späteren Spielverlauf deutlich schwierigeren Kontrahenten begegnet. Auch die Fähigkeit Pfeile mit dem Katana abzuwehren sollte man nicht außer Acht lassen, grade wenn mehrere Bogenschützen uns zu ihrem Lieblingsziel auserkoren haben, bringt diese Fertigkeit viel Spaß. Haben wir uns dagegen Zeit für ein Haiku genommen, gewinnen wir einen weiteren kosmetischen Gegenstand für unsere Sammlung.
TIPP für angehende Samurai: Immer auf den eigenen Haltungswechsel im Kampf achten. Nach der Waffenart und Kriegerform seines Gegenübers (z.b langer Speer oder Schild) sollte man seine eigene Kampfhaltung anpassen. So fallen die Gegner schneller euren Klingen zum Opfer und Ihr könnt Euch besser verteidigen.
Mit allen Mitteln versuchen wir die Belagerung der Insel zu stoppen, und befreien nach und nach besetzte Siedlungen, überrannte Tempel und stürmen oder infiltrieren die Feldlager und Stützpunkte der Mongolen. Nützlicher Nebeneffekt unserer Befreiungsaktion: Es schließen sich immer mehr Bewohner unserer Widerstandsbewegung an, wodurch wir nützliche Geschenke und Ressourcen erhalten, mit denen wir unsere Kriegerkluft und unser Geist/Stealth-Arsenal verbessern können. Was ich ebenfalls sehr gut finde, sind die sammelbaren Artefakte und Berichte, die uns etwas mehr über das Leben der Streitkräfte aus dem fernen Osten zeigen. So lernen wir Bräuche und Gewohnheiten der Mongolen kennen, die wir im Verlauf der Handlung sogar als strategische Elemente gegen sie verwenden können.
Release Termin:
17. Juli 2020
USK:
ab 18 Jahren
Genre:
Stealth-, Action-Adventure
Spielzeit:
ca. 50 Stunden
Entwickler:
Sucker Punch Productions
Publisher:
Sony Interactive Entertainment
Erhältlich für:
PlayStation 4
Fazit
Ghost of Tsushima
Ghost of Tsushima ist für mich jetzt schon ein heißer Anwärter auf den Titel Spiel des Jahres. Wer jetzt noch keine PlayStation 4 besitzt, der sollte sich unbedingt noch schnell eine zulegen, denn dieses optisch herausragende Open-World Highlight muss man erlebt haben. Ich hatte so viel Spaß mit Ghost of Tsushima, dass ich es innerhalb eines verlängerten Wochenendes komplett durchgesuchtet habe. Mir persönlich gefällt auch die Idee sehr gut, das durch investieren von Skillpunkten der Wind, welcher uns als Navigationswerkzeug dient, so eingestellt werden kann, dass sich alle sammelbaren Objekte und Orte im Spiel einfach aufspüren lassen. Aber das größte Augenmerk von Ghost of Tsushima ist definitiv die wunderschöne japanische Flora und Fauna, mit all ihren traditionellen Tempelanlagen, Ahornbäumen, heißen Quellen und prachtvollen Rüstungen/Kleidung aus einer längst vergangenen Zeit. Da werden selbst einfache Erkundungstrips nicht langweilig, denn hin und wieder muss man einfach inne halten, um dieses optische Feuerwerk zu genießen. Arigatōgozaimashita!
Pro
- bombastische Grafik
- wunderschöne Spielwelt
- spannende Handlung, inkl. gut erzählten Nebenquests
- supergutes Stealth-Gameplay
- filmreife Inszenierung
- sehr guter Fotomodus
- gut gestaltete Menüs
- Gegenstände lassen sich direkt vom Pferd aus aufsammeln
- umfangreiche Charakteranpassung
Contra
- R2-Steuerung gewöhnungsbedürftig
Letzte Worte
-
Japanischer Schleicher Deluxe!
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