Ist diese gewaltige Atmosphäre noch zu toppen und warum spaltet »Death Stranding« die Fachpresse? Für welche Zielgruppe ist dieses eigenartige Meisterwerk von »Hideo Kojima« überhaupt geeignet? Fragen über Fragen – rush’B’fast hat ein paar Antworten. Bevor ich in den komplexen Test von Death Stranding einsteige, möchte ich noch etwas im Vorfeld klären. Ich gebe zu: Ja, ich bin ein Kojima-Fan-Boy – aber das beeinflusst hier nicht meine Meinung. Ebenso hoffe ich, dass ich beim Schreiben dieser Zeilen nicht in wirrem Gefasel ende, denn ich möchte Euch den Test völlig Spoilerfrei und dennoch logisch präsentieren. Death Stranding ist ein sehr spezielles Spiel, welches sich kaum mit anderen Titeln auf dem Markt vergleichen lässt. Vielleicht schaffe ich es ja, die negativen Meinungen und offenen Fragen aus der Welt zu schaffen.
Post-Apokalypse!

Wir spielen den Einzelgänger Sam Porter Bridges, der von keinem geringeren als The Walking Dead-Schauspieler Norman Reedus verkörpert wird. Zu Beginn der Geschichte sind wir ein einsamer freiberuflicher Lieferbote, der alle möglichen Arten von Waren von A nach B transportiert.
Wir befinden uns angeblich in Amerika, doch dieses Amerika scheint alles andere als normal, denn die eher karge und baumlose Landschaft ähnelt mehr einer Vulkanlandschaft auf Island. Das Landschaftsbild wird dominiert von kleinen Felsen, die zum Teil stark bemooste Oberflächen aufweisen. Man kann förmlich die Luftfeuchtigkeit und den Schwefel in der Luft spüren. Dieses irgendwie saftige und zugleich leblose Land wurde durch die andauernde Zerstörungswut des Menschen geformt. Na, das sind ja großartige Zukunftsaussichten…
Seitdem der Mensch also erfolgreich gewütet hat, wohnt die Bevölkerung lieber in gigantischen Bunkern tief unter der Erde. Das erklärt, warum wir bei unseren Lieferaufträgen hauptsächlich mit Hologrammen kommunizieren, denn kaum ein Mensch traut sich wegen den beängstigenden Naturphänomenen an der Oberfläche an die frische Luft.

Zu diesen neuen und gefährlichen Naturphänomenen gehört der schwarze Zeitregen, und später sogar Zeitschnee, welcher durch einen auf dem Kopf stehenden Regenbogen angekündigt wird und alles rapide altern lässt, was mit ihm in Berührung kommt, egal ob Lebewesen oder Gegenstand. Die größte Gefahr in Death Stranding sind jedoch die sogenannten GDs. Die GDs sind eine Erscheinung von toten Seelen, die sich nicht von dieser Welt lösen konnten. Sie tauchen immer zusammen mit starkem Zeitregen auf und sind mit bloßem Auge leider nicht zu erkennen. Es handelt sich um herumwandelnde schwebende Körper, die jeweils durch eine ebenso unsichtbare Nabelschnur mit dem Boden verankert sind.
Sobald wir diesen Seelen zu nahe kommen, verwandelt sich der Boden unter unseren Füßen in eine zähe teerartige Masse, die uns umspült und flutartig ansteigt und wir werden von zahlreichen weiteren Seelen an der Oberfläche festgehalten – was im schlimmsten Fall zu einem sehr großen Areal gefüllt mit schwarzem Teer und Meeresgetier führen kann, welches dann auch noch einen Boss-Gegner mit sich bringt. Leute, danach sieht man den nächsten Meeresfrüchte-Salat mit ganz neuen Augen…
Eine kurze Aufmunterung: Diese unangenehmen Begegnungen lassen sich aber größtenteils vermeiden, in dem wir geduckt und ganz langsam an den GDs vorbeischleichen und im Ernstfall sogar die Luft anhalten.
Scheitern wir allerdings bei diesem GD-Kontakt wird ein Leeresturz erzeugt, der einen gigantischen Krater in unsere Spielwelt reißt. Generell gilt, jeder Leichnam in Death Stranding sollte so schnell wie nur möglich in einen speziellen Leichensack verpackt und sofort zu einem Verbrennungsofen gebracht werden.

Neben den übernatürlichen Phänomenen, dem teils schwergängigen Gelände und gefährlichen Gewässern, gibt es auch noch eine physische und fast schon banale Bedrohung, die Mule. Diese Splittergruppen (Banden/Terroristen) sind gierig auf alles was Sam Porter Bridges transportiert. Sobald wir das Orange gekennzeichnete Mule-Territorium betreten, werden wir, bzw. unsere Ware, von einem Frachtscanner erfasst und haben die ganze Meute am Hacken kleben. Hier hilft nur fliehen oder kämpfen, aber aufpassen dass ein Kampf nicht tödlich endet, denn sonst sieht unsere Spielwelt irgendwann wie ein Schweizer Käse aus.
Erwischt es uns selber einmal mit dem Ableben, so machen wir Gebrauch von Sams besonderer Gabe, denn unser Lieferbote ist ein Wiedergänger – das bedeutet, selbst wenn er stirbt, kann er über einen geheimnisvollen Ort namens Fuge in seinen Körper zurückkehren. Sogar Pakete, die durch seinen Tod verloren gehen, kann er in der Fuge vor seinem Respawn wieder einsammeln. Stirbt Sam durch GDs wird natürlich auch ein Leeresturz ausgelöst, danach können wir aber wie gewohnt weiter ziehen.
Alle ziehen an einem Strang

Nachdem wir also ein paar Frachtstücke aus der Landschaft geklaubt haben und in die nächste größerer Stadt stolpern, werden wir (Sam Porter Bridges) eingeladen, um bei dem gleichnamigen Konzern »Bridges« als Bote/Kurier/Vertreter anzufangen. Doch dieses ungewollte Vorstellungsgespräch beschenkt uns nicht nur mit unzähligen und kräftezehrenden Aufgaben, nein es bringt auch die nebulöse Vergangenheit von Sam zum Vorschein.
Die Präsidentin von Amerika (Bridget, gespielt von Lindsay Wagner) stellt sich als unsere Mutter heraus und liegt leider schon mit einem Bein im Grab. Unsere Aufgabe soll es sein, unserer Schwester Amelie zu helfen, das zersplitterte Amerika mit Hilfe des chiralen Netzwerks wieder aufzubauen. Dieses Netzwerk stellt eine Art Hochleistungs-Internet da, welches den Menschen ermöglicht, sich von überall einzuklinken und auszutauschen. Dank diesem Netzwerk kann zum Beispiel ein Arzt Hausbesuche via Hologramm tätigen oder ein Bürger neue Erfindungen kommunizieren, die wir später sogar via 3D-Drucker verwenden können.

Mehr oder weniger gegen unseren Willen, lassen wir uns mit Bridget bzw. auf den Deal von Bridges ein (das mit den Namen kann sehr verwirrend sein, aber das kennt man ja bereits aus den Metal Gear-Teilen, typisch Kojima!).
Bei unserer Mission, Amerika neu zu vernetzen, sind wir nicht ganz alleine und werden von diversen Spezialisten unterstützt. Und hier geben sich in den ersten Spielstunden bekannte Schauspieler die Klinke in die Hand: Abgefahrene und echt coole Charaktere greifen uns unter die Arme, verkörpert von Deadman (Guillermo del Toro), Mama (Margaret Qualley), Heartman (Nicolas Winding Refn) oder Fragile (Léa Seydoux). Das sind bei weitem noch nicht alle bekannten Gesichter, die ihren Weg in Death Stranding gefunden haben, und ich wünsche Euch schon jetzt viel Vergnügen beim Entdecken. Man kann unschwer erkennen das Hideo Kojima selber ein großer Film-Fan und auch in dieser Branche anscheinend kein Unbekannter mehr ist.
Doch bevor ich nun auf das kritisierte Gameplay eingehe, möchte ich noch auf das geniale Design der Ausrüstung hinweisen. Da ich ja schon mehrmals geschrieben habe, dass ich selber aus der Design- und Grafikecke komme und mich viel damit beschäftige, kann ich nur sagen: Das Design von Death Stranding, die ganzen Behälter, Strukturen, Einrichtungen, Logos, Kleidungsstücke, Mechaniken und Tools sind ganz großes Kino – egal, ob vielleicht hinter dem ein oder anderen Element eine tatsächliche Marke steckt.
Baby an Bord

Sam besitzt zu Beginn des Spiels bereits zwei spielentscheidende Ausrüstungsgegenstände, eines davon ist der geheimnisvolle Fötus namens BB in seinem gelbfarbenen Behälter, welcher uns von Deadman als Werkzeug überreicht wird. Bei dem anderen Tool handelt es sich um einen pulsierenden Lichtsensor, das Odradek. Beide sind miteinander verbunden, werden bei Gefahr aktiv und lassen nahe GDs in unserer Umgebung sichtbar werden. Um Sendungen und Pakete sicher an den jeweiligen Zielort zu bringen streifen wir mit dieser Ausrüstung durch das weite und leblose Amerika.
Da Sam nun ein Teil des Bridges-Unternehmens ist, kann er auch deren Strukturen und Fahrzeuge nutzen und sogar selber drucken/bauen. Hilfreiche Bauwerke errichten geht aber erst, wenn Sam im entsprechenden Gebiet die dortigen Bewohner mit dem chiralen Netzwerk verbunden hat. Danach kann die Einöde mit Brücken und Briefkästen bis hin zu kleinen Bunkern ausgestattet werden.
Viele Metal-Gear-Fans sind eventuell erst einmal von Death Stranding enttäuscht, da sie wahrscheinlich das übliche Stealth-Action-Gameplay aus Kojimas alten Zeiten bei Konami erwartet haben – doch Death Stranding ist anders und es lohnt sich durchaus, sich darauf einzulassen. Und wer sich die Mühe macht und genau hin sieht, wird sicherlich ein paar altbekannte Spielelemente wiederfinden.
Warum ich etwas länger für diesen Test gebraucht habe ist nicht nur die reine Spielzeit, die ich mit Death Stranding verbracht habe, es ist obendrein die Frage, was macht dieses Spiel so besonders, das ich nach über 70 Stunden immer noch nicht genug davon bekomme!? Eine einfache Aufgabenstellung, wie eine Lieferung von A nach B zu transportieren scheint keine Innovation zu sein – oder vielleicht doch?

Alle guten Dinge sind drei!
Kojimas neues Meisterwerk würde ich in drei verschiedene Kategorien einordnen: Walkingsimulator, Logistik-Action-Simulation und Kinofilm. Klar ergeben diese drei Genres ein Gesamtes, aber jedes für sich ist bereits so komplex ausgearbeitet, dass es Sinn macht diese für eine Analyse auseinanderzuklamüsern.
Walkingsimulator

Death Stranding ist mit Abstand der wohl aufwendigste Walkingsimulator den es bis jetzt gab. In vielen anderen Spielen ist oftmals die Oberfächenbeschaffenheit für den Spielcharakter nicht von Bedeutung oder hat kaum einen Einfluss auf das Spielerlebnis. Da wird schon mal mit Leichtigkeit ein Berg erklommen oder als schwer beladender Ritter elfengleich ein tiefer Fluss durchquert – doch nicht so in Death Stranding. Dank unseres Odradek können wir die kleinsten Unebenheiten am Boden erkennen und so sehen wir rechtzeitig, ob der nächste Schritt über die steinige Landschaft Sam aus dem Gleichgewicht bringen könnte. Auch schwere Anstiege oder starkes Gefälle machen Sam zu schaffen, so ist oft unser Geschick gefragt mit dem Controller die Balance auszugleichen, um Stürze zu vermeiden und die kostbare Fracht nicht zu beschädigen.
Auch die Durchquerung eines Flusses kann uns schnell aus den Stiefeln hauen, so empfiehlt es sich die kürzeste und flachste Distanz von Ufer zu Ufer zu wählen. Im späteren Spielverlauf muss sich Sam regelmäßig durch Tiefschnee und Schneestürme kämpfen, auch hier wird das Gleichgewicht unseres Lastenträgers stark beeinflusst und sogar die Kälte fordert mehr von unserer kostbaren Ausdauer.
Logistik-Action-Simulation

Unser primäres Ziel ist es zwar Amerika zu vernetzen, doch viele Bürger wollen hauptsächlich ihre Waren pünktlich geliefert bekommen. So liegt es also in unseren Händen die einsamen Bewohner Amerikas zu überzeugen sich dem chiralen Netzwerk anzuschließen. Dies gelingt aber nur wenn wir ihnen mehrmals, und vor allem zu ihrer Zufriedenheit, die geforderten Lieferungen zustellen. Um Sender und Empfänger zu begeistern müssen wir stets gut auf die Fracht aufpassen, denn manche Behälter beinhalten zerbrechliche, gekühlte oder sogar lebende Waren. Ebenso gilt, dass viele Lieferungen einen sehr großen Umfang haben und wir diese nur mit einem passenden Fahrzeug und einer gut geplanten Route erfolgreich liefern können. Hin und wieder kommt es auch vor, dass wir sogar unter Zeitdruck stehen oder unsere Fracht nur waagerecht halten dürfen.

Stürzen wir während einer Auslieferung oder werden von GDs aufgehalten, nimmt unsere Ware Schaden. Je mehr unsere Frachtbehälter leiden und sei es nur der Zeitregen, der sie vorzeitig rosten lässt, werden uns am Ziel kostbare Punkte/Likes vom Gesamtergebnis abgezogen. Dies kann dazu führen deutlich mehr für die jeweiligen Empfänger liefern zu müssen, bis sie sich endlich an das chirale Netzwerk anschließen lassen.
Schön zu sehen ist auch, wie die Waren immer sehr gut zu den jeweiligen Empfängern passen: Da gibt es den Sammler, der alte Sony-Konsolen sammelt oder den Filmregisseur, der gut erhaltene Filmrollen und Actionfiguren zugestellt bekommt. Haben wir die Empfänger von unseren Lieferdiensten überzeugt, so erhalten wir oftmals eine Belohnung in Form von nützlichen Tools, wie zum Beispiel Krafthandschuhe oder einen Zeitregenschutz für unseren Rucksack.
Mehrstündiges Kinoerlebnis auf Top Niveau

Die sehr langen Filmsequenzen von Death Stranding sind typisch für ein Kojima-Spiel. Doch so eine hochkarätige Schauspielerbesetzung hat die Videospielwelt bis dato noch nicht gesehen. Die atemberaubenden Sequenzen sind in der eigenen Spielgrafik animiert und lassen uns manchmal sogar vergessen, dass wir uns gerade zwischen unseren Lieferaufträgen befinden und nicht mit Popcorn in der Hand im heimischen Kinosessel sitzen.
Auch die Synchronisation in mehreren Sprachen ist, wie ich finde, sehr gut gelungen. Alle Dialoge und Texte in Death Stranding sind komplett auf Deutsch und machen einen so guten Eindruck, dass man hier nur als Fan der Schauspieler auf den Originalton zugreift.
Mehrspieler ohne mehr Spieler

Hideo Kojima wurde vor kurzem gleich zwei Mal im Guinnessbuch der Rekorde eingetragen, doch nicht für seine erfolgreichen Videospielproduktionen, sondern als Spieleentwickler, der die meisten Follower auf Twitter und Instagram hat. Passend zu diesem Thema bekommen wir für alles was wir in Death Stranding erledigen immer eine bestimmte Anzahl an Likes, die unseren Rang als Bote stetig höher steigen lässt. Mit dieser ansteigenden Beliebtheit kann Sam später besser die Balance halten oder auf längeren Strecken effizienter liefern. Doch was hat das mit dem eigenartigen Mehrspielermodus zu tun, denn andere Spieler wird man in der Welt von Death Stranding nicht sehen und trotzdem sind sie an allen Ecken präsent?

Sam kann in der Fuge mit anderen Spielern (bis zu 30 an der Zahl) eine spezielle Verbindung herstellen und so ist es möglich, dass wir im Spiel auf die gebauten Strukturen wie Brücken, Seilrutschen, Briefkästen oder sogar Fahrzeuge anderer Spieler zugreifen können und dafür Likes verteilen und bekommen. Oftmals sind genau diese Bauten der Schlüssel zum Erfolg oder zumindest das passende Puzzleteil für eine schnelle und erfolgreiche Auslieferung unserer Waren.
Eine geniale Komponente des Spiels ist das Entstehen der Handelsstraßen. Anfangs ist die Natur im Spiel noch unberührt und der Weg zum Ziel oftmals steinig und schwer, doch durch das mehrmalige Begehen von Pfaden (auch von anderen Spielern) entstehen aus diesen Trampelpfaden mehr und mehr glatte und leichter zu bewältigende Wege, die man sogar mit einem Fahrzeug nutzen kann.
Release:
08. November 2019
USK:
ab 16 Jahren
Genre:
Action-Adventure
Action-Rollenspiel
Simulation
Spielzeit:
ca. 70+ Stunden (alle 5 Sterne Verbindungen)
Entwickler:
Kojima Productions
Publisher:
Sony Interactive Entertainment
Erhältlich für:
PlayStation 4
Windows PC
Fazit
Death Stranding
Death Stranding hat mich voll gepackt und sobald die fantastische Geschichte in Fahrt kommt, gibt es kein Halten mehr. Schön zu sehen, dass sich Hideo Kojima nach der Gründung seines eigenen Studios seiner Linie treu geblieben ist. Er schafft es immer wieder etwas komplett Neues zu schaffen und die Gamer dieser Welt zu begeistern. Es ist, denke ich, selbstverständlich dass dieses Spiel nicht jedem da draußen gefallen kann - ich würde sogar sagen, Death Stranding ist fast schon zu künstlerisch für den kommerziellen Markt. Dennoch ist die Welt die uns Hideo Kojima in Death Stranding präsentiert einmalig und ich hoffe, oder besser gesagt ich wünsche mir, dass er der Spieleindustrie noch lange treu bleibt und wir noch viele Spiele auf diesem außergewöhnlichen Niveau spielen dürfen. Danke, Kojima-san!
Pro
- innovative Spielmechaniken
- sehr gute Schauspieler (tolle Besetzung)
- fantastische Sequenzen
- beeindruckende Landschaft
- tolles Design
Contra
- sehr kleine Schrift
- Fahrphysik
Letzte Worte
-
Kojimas Lieferservice
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